Schulanfang: Achtung Kinder!

Fast überall in der Schweiz hat diese Woche das neue Schuljahr begonnen. Damit sind wieder viele Schulkinder unterwegs, die zum Teil noch sehr unsicher wirken, und andere, die in den Sommerferien sämtliche Verkehrsregeln vergessen haben und übermütig auf die Strasse laufen, ob gerade ein Auto kommt oder nicht. Wie verhalten wir – Autofahrer, Eltern, Kinder – uns richtig?

Unsichere Neulinge

Jahr für Jahr sehe ich Schulkinder, die scheinbar verloren am Strassenrand stehen. Obwohl sie sich neben einem Fussgängerstreifen befinden, ist ihre Absicht unklar. Scheinbar wollen sie die Strasse nicht überqueren. Sonst hätten sie das bereits getan, denn weit und breit ist kein Auto zu sehen. Warten sie vielleicht auf ein Gschpänli?

Und genau hier liegt das Problem: Ist die Absicht eines Fussgängers – unabhängig des Alters – nicht erkennbar, können Autofahrer nicht entsprechend dieser Absicht reagieren. Steht jemand neben einem Fussgängerstreifen, will er nicht zwingend über die Strasse gehen. Ich habe schon häufig angehalten und wurde dann vom Wartenden weitergewunken, weil er einfach nur stehenbleiben wollte, aber sonst nichts. Und Kindern ist sogar noch weniger bewusst, wo sie gerade stehen und wie sie auf Autofahrer wirken.

Sowieso könnte man teilweise meinen, die Kinder hätten noch nie im Leben eine Strasse überquert. Vermutlich, weil die Eltern mit ihnen nur im Auto unterwegs sind und sie keine Gelegenheit hatten, das Verhalten der Eltern als Fussgänger im Strassenverkehr zu beobachten und nachzuahmen. Deshalb ist es besonders wichtig, als Eltern mit den Kindern häufig zu Fuss unterwegs zu sein und sich dabei nicht nur als Vorbild zu verhalten, sondern auch mit den Kindern darüber zu sprechen, was man wieso tut.

Tatsächlich wollen die Kinder häufig doch die Strasse überqueren, wenn sie lange am Strassenrand warten. Aber jemand hat ihnen gesagt, sie dürfen dies erst tun, wenn das Auto ganz angehalten hat: «Rad steht, Kind geht!». Ging dabei vergessen, dass sie auch gehen dürfen, wenn kein Auto kommt? In den 7 wichtigen Tipps für den Schulweg der Kantonspolizei Bern ist das jedenfalls so enthalten («Wenn kein Fahrzeug mehr kommt…»).

Mahnende Mütter

Wenn ich zu Hause losfahre und in der Ferne (mehrere Hundert Meter die Strasse runter) beim Fussgängerstreifen eine Frau mit Kind sehe, handelt es sich nicht selten um eine Mutter, die ihrem Kind vorführen will, wie das mit dem «Rad steht, Kind geht!» funktioniert. Sie werden an dieser Stelle warten, bis ich eine halbe Minute später mit Tempo 30 angetuckert komme und anhalte. Damit bilden sie ein völlig unnötiges Verkehrshindernis. Denn im Normalfall hätten sie die Strasse schon längstens überquert, bis ich beim Fussgängerstreifen angekommen wäre.

Wichtiger wäre es, auch sonst mit dem Kind zu Fuss unterwegs zu sein und nicht erst beim Schulanfang. Und wenn die Mutter dem Kind das so vorführt, dann wird es auch später alleine am Strassenrand stehen bleiben, bis endlich von irgendwoher ein Auto gefahren kommt.

Anhaltende Hände

Seit einiger Zeit wird den Kindern auch beigebracht, den Autofahrern am Fussgängerstreifen mit der Hand ein Haltezeichen zu geben und sie damit zum Stoppen zu bringen. Wie gesagt bin ich ein grosser Fan davon, wenn andere Verkehrsteilnehmer ihre Absicht klar zeigen. Doch das gilt nicht für diese Haltezeichen. Denn die Kinder erhalten so das Gefühl und die falsche Sicherheit, mit ihren Stopp-Handzeichen die Autos überall anhalten zu können, nicht nur vor dem Fussgängerstreifen. Sie verstehen nicht, dass die Autos wegen dem Fussgängerstreifen anhalten und nicht wegen dem Haltezeichen.

Dabei wäre es viel sinnvoller, den Kindern das von Anfang an richtig zu lehren. Das Stopp-Handzeichen ist für Autofahrer nur dann verbindlich, wenn ein Polizist es zeigt, oder ähnliche Personen, die den Verkehr leiten. Autofahrer halten wegen dem Fussgängerstreifen an, nicht wegen dem Handzeichen.

Übermütige ältere Schüler

Die ein bisschen älteren Schüler kehren in die Schule zurück und haben in den Sommerferien scheinbar sämtliche Verkehrsregeln vergessen. Sie laufen übermütig auf die Strasse, ob gerade ein Auto angefahren kommt oder nicht. Damit liegen sie in unserem Wohnquartier in der Begegnungszone zwar richtig: Sie haben Vortritt vor den Autos. Aber genauso verhalten sie sich auch in der 30er-Zone, in der völlig andere Verkehrsregeln gelten. Entweder hat ihnen also nie jemand den Unterschied beigebracht, oder sie haben das mit dem Warten vor dem Fussgängerstreifen falsch verstanden. Vor dem Fussgängerstreifen warten: Ihrer Umkehrschluss-Logik nach müssen sie ohne Fussgängerstreifen also auch nicht warten.

Konsequent bleiben

Fussgänger haben nur in den folgenden Situationen Vortritt, wenn sie die Strasse überqueren möchten:

  • auf einem Fussgängerstreifen
  • in einer Begegnungszone.

In allen anderen Fällen haben Autos Vortritt. Und es ist wichtig, dass Autofahrer konsequent bleiben und diesen Vortritt auch beanspruchen. Häufig wollen Autofahrer lieb und nett sein und halten auf Quartierstrassen an, um Kinder durchzulassen. Das ist gefährlich, weil die Kinder so lernen, dass alle Autofahrer sie vorbeilassen, und dann gar nicht mehr warten, sondern einfach vor fahrende Autos laufen, die ihrer Meinung nach ja gleich anhalten. Nur machen das vielleicht nicht alle.

Genauso wichtig ist es für Autofahrer, den Kindern kein Zeichen zu geben. Winkt ein Autofahrer die Kinder am Fussgängerstreifen rüber, glauben sie, sie könnten jetzt die Strasse gefahrlos überqueren. Vielleicht obwohl aus der anderen Richtung gerade ein Auto naht, dessen Fahrer die Kinder noch nicht gesehen hat.

Fazit und Empfehlungen

Wer hat Vortritt? Meiner Meinung nach wäre es wichtig, den Kindern genau das beizubringen und ihnen den Unterschied zwischen einer Begegnungs- und einer 30er-Zone zu erklären.

Autofahrer: Bleibt konsequent und stoppt nur vor dem Fussgängerstreifen, um Kinder die Strasse überqueren zu lassen. Haltet dabei komplett an («Rad steht, Kind geht!») und haltet einen nicht bedrohlichen Abstand zum Fussgängerstreifen – mindestens zwei Meter. Gebt keine Handzeichen. Die Kinder müssen sich selbst vergewissern, dass aus keiner Richtung eine Gefahr droht.

Eltern: Geht mit den Kindern regelmässig zu Fuss und erklärt ihnen dabei, wann wer wieso Vortritt hat. Wer das am ersten Schultag zum ersten Mal tut, trägt eine Mitschuld daran, wenn die Kinder sich später falsch verhalten.

Kinder: Geht erst über die Strasse, wenn kein Auto mehr kommt oder die Autos ganz angehalten haben. Verlasst Euch nicht auf die Handzeichen der Autofahrer, sondern vergewissert Euch selbst, dass aus keiner Richtung eine Gefahr droht. Und es hilft, wenn Eure Absicht im Voraus erkennbar ist.

Permalink zu diesem Beitrag: http://ptrl.ch/schulanfang

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