Land Rover Defender: Das Ende einer Ära
Bald 70 Jahre sind vergangen seit der legendären Zeichnung am Strand, dem Konzept eines Alleskönner-Fahrzeugs für jedes Terrain. Seit 1948 wird der Land Rover, später „Defender“ genannt, in der Land Rover-Fabrik in Solihull in England hergestellt. Nicht nur der Geländewagen selbst sieht heute fast noch so aus wie damals – er wird auch noch wie früher in Handarbeit hergestellt. Doch damit ist nun Schluss. In Kürze wird die Produktion des Defender eingestellt. Ich habe Ende 2015 die Gelegenheit benutzt für einen letzten Besuch in der Defender-Fabrik.
Im Jahr 1947 hat alles begonnen. Maurice Wilks, Technischer Direktor des Autoherstellers Rover, hat in den Ferien seine Vorstellung eines Geländewagens in den Sand der Red Wharf Bay gezeichnet. Sein Bruder und Rover-Geschäftsführer Spencer Wilks war davon begeistert. Im Jahr darauf rollt der erste Landy vom Band. Er ist erhältlich als Dreitürer mit kurzem Radstand (90 Inch, daher „Ninety“ genannt) und Fünftürer mit langem Radstand (110 Inch, „One Ten“ genannt); als Cabrio, Pick-Up mit Ladefläche oder einem Soft- oder Hardtop mit oder ohne Fenster hinter der Fahrerkabine.
Der Land Rover ist ein voller Erfolg. Mit seinem Vierradantrieb und der Geländeuntersetzung bewährt er sich in der Landwirtschaft und stellt sich erfolgreich jeder Herausforderung abseits der Strasse. Er fährt 45° steile Böschungen nicht nur hinauf und hinab, sondern wenn es sein muss ihnen auch seitlich entlang. Das Arbeitstier zieht natürlich auch Anhänger – oder sich selbst an der Seilwinde (Zubehör) irgendwo hoch. Als Expeditionsfahrzeug war der Land Rover das erste Automobil, das unzählige Menschen in abgelegenen Gebieten Südamerikas, Asiens und Afrikas je gesehen haben. Auch der Tierarzt „Daktari“ fährt einen Land Rover.
Die Fahrzeuge der Serie I und II sind fast baugleich und zeichnen sich durch die grossen runden Frontscheinwerfer aus, die zwischen den bulligen Radkästen liegen. Dies ändert sich erst im Jahr 1968 aufgrund der Gesetzgebung in verschiedenen Ländern. Ab jetzt sind die Scheinwerfern an den Radkästen angebracht, die nun gleich weit nach vorne ragen wie der Kühlergrill. Und wieder ist die Gesetzgebung Schuld daran, dass der Defender nun Geschichte ist: Mit seinen starren Blechen erfüllt er schon lange nicht mehr die heutigen Vorgaben bezüglich Verkehrssicherheit mit Knautschzonen, Airbags und Aufprallschutz für Fussgänger. Der Defender konnte sowieso nur so lange weiterbestehen, weil er nicht mehr abgeändert wurde und daher noch die früheren Zulassungsvorschriften galten. Sobald die letzten Bestellungen abgearbeitet sind, wird die Produktion eingestellt.
Defender-Produktion in Handarbeit
Der Besuch in der Jaguar Land Rover-Fabrik in Solihull, einem Vorort von Birmingham, beginnt am frühen Morgen. Und leider heisst es gleich: no photos. Nur im Museum ist Fotografieren erlaubt. Unser Führer Goeff ist ein rüstiger Rentner, der schon vor der Pensionierung für Land Rover gearbeitet hatte. Er lässt es sich nicht nehmen, mit vielen der Arbeiter einen kleinen Schwatz abzulassen. Und Arbeiter (und auch Arbeiterinnen!) hat es hier viele – über 200. Denn fast jeder Arbeitsschritt erfolgt noch von Hand.
An den verstreuten Arbeitsplätzen hat jeder seine Aufgabe und erledigt einen kleinen Arbeitsschritt, stellt ein Puzzle-Teil her, das am Schluss ein ganzes Auto ergibt. Hier werden alle Einzelteile gebogen, geschweisst, gelötet, genietet, sonst wie zusammengesetzt und was es alles sonst noch so braucht. Dabei entstehen der Chassis-Rahmen, die Fahrgastkabine, die Kotflügel, Türen und vieles mehr. An eine Art Kleiderbügel aufgehängt geht alles zum Lackieren ins zentrale Gebäude des Werks, in dem auch die hier produzierten Range Rover- und Jaguar-Modelle ihre Farbe erhalten. Mitarbeiter von DHL kümmern sich um die Logistik und sorgen dafür, dass immer genug neue Teile für den Autobau vorhanden sind.
Gespannt schauen wir beispielsweise zu, wie die Scheiben im Rahmen festgeklebt werden. Gerade mal drei Schweissroboter helfen beim gesamten Herstellungsprozess mit. Der ganze Rest ist Handarbeit. Natürlich werden dabei aber moderne Hilfsmittel eingesetzt, zum Beispiel um die schweren Einzelteile herumzutransportieren. Immerhin noch zwei Fahrzeugteile des modernen Defenders sind baugleich mit dem Original von anno dazumal: ein Blech unter dem Sitz und die Haken zum Festzurren der Pickup-Abdeckplane. Als allerletztes Puzzle-Teil wird übrigens das Steuerrad montiert. Das ist sonst nur im Weg beim Zusammenbauen.
Das Museum inmitten der Produktion
Inmitten der Fabrikhalle befindet sich das Defender-Museum. Dicke Holzwände trennen ungefähr 200 Quadratmeter von der auslaufenden Produktion ab. Es könnte keinen besseren Ort dafür geben, das Urgestein der Geländewagen zu feiern, als umgeben von neuen Geländewagen, die gerade entstehen.
Gezeigt werden neben Fotos und Videos der Chassis-Rahmen der Serie I mit einem seltenen Einblick in das Getriebe und die Geländeuntersetzung. In einem andern, genauso alten Wagen wird der 30°-Neigewinkel demonstriert, bis zu dem der Defender nach offiziellen Angaben gefahren werden kann. In der Realität geht’s aber problemlos noch schräger. Doch schon die 30° fühlen sich nach mehr an! Ich hab’s selbst ausprobiert und kann sagen: Da hängt man ganz schön in den Seilen.
Video:
Neben alten Land Rovern sind im Museum auch Miniaturen zu sehen: Unzählige Modellautos machen deutlich, wie vielseitig das Fahrzeug einsetzbar war (und ist).
Von viel Liebe zu ihren „Landys“ zeugt auch die Defender-Wand: Besucher dürfen (und sollen!) hier ihre Land Rover-Geschichte erzählen und möglichst auch Fotos mitbringen. Selbst bei den ältesten Jahrgängen hängen viele Zettel. Sie zählen schon lange als Familienmitglieder, werden gehegt und gepflegt und gerne auch mal komplett restauriert.
Und natürlich versteht es sich von selbst, dass Land Rover-Enthusiasten mit ihrem eigenen Lieblings-Auto anreisen. So könnte man eigentlich auch den Parkplatz des Land Rover Experience Centers zur Aussenstelle des Museums erklären, mit ständig wechselnden Exponaten verschiedener Jahrgänge des Defender, Discovery, Freelander und der drei Ranger Rover-Modelle. Auch unsere Schweizer Autonummer ist hier aufgefallen – andern Schweizern, die heute ebenfalls die Land Rover Celebration Tour besucht haben.
Die Zukunft des Defender?
Bereits existieren Studien, wie es mit dem Defender weitergehen könnte. Der Name und die Geschichte dieses faszinierenden Automobils soll nicht einfach so untergehen. Ob das Auto wie die Studie DC100 hier im Bild aussehen wird, steht noch nicht fest. Ganze vier Jahre möchte sich Land Rover Zeit lassen, um einen würdigen Nachfolger zu entwickeln. Einen solchen hat der Defender auch verdient.
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[…] haben am Morgen die Defender-Fabrik besucht und für den Nachmittag das Fahrerlebnis gebucht. Marc, unser Instruktor, ist ein echter Haudegen. […]
Ende Januar 2016 war’s nun wirklich vorbei mit der Defender-Produktion. Jetzt kann man die Produktion und das Defender-Museum als virtuelle Tour besuchen: http://defendertour.landrover.com/celebration-line.htm?scenetoload=pano22