Ein Blick hinter die Kulissen der Sbarro Schule für Autodesign und Autokonstruktion
Franco Sbarro gehört zu den bekanntesten Schweizer Autodesignern und Autobauern und leider auch zu den letzten noch aktiven. Seine Schule ESPERA Sbarro im französischen Montbéliard ist mit ihrem umfassenden Konzept einzigartig: Die Ausbildung beinhaltet sämtliche Aspekte der Planung und Konstruktion eines Automobils. Am Tag der offenen Tür gewährte die Schule einen Blick hinter die Kulissen – und auf das Auto, das von den Studenten gerade gebaut und dann am diesjährigen Auto-Salon in Genf präsentiert wird.
Vom Bauernsohn zum Autodesigner
Francesco Zefferino Sbarro wurde im Jahr 1939 in Süditalien geboren. Der Bauernsohn begeisterte sich schon als Kind für die Technik der Landmaschinen und Motorfahrräder in seinem Umfeld. Mit 18 Jahren zog er nach Neuenburg. Hier arbeitete er als Automechaniker, bevor er nur zwei Jahre später eine eigene Garage in Grandson im Kanton Waadt übernahm.
In Grandson begegnete er dem Unternehmer Georges Filipinetti, der zur Förderung des Schweizer Autorennsports einen eigenen Rennstall, Scuderia Filipinetti, gegründet hatte. Sbarro war hier bald Chefmechaniker. Beim Restaurieren alter Sportwagen wie AC Cobra, Ferrari P3 und Ford GT40 lernte er noch mehr über ihre Mechanik. In dieser Zeit baut er auf der Basis eines VW Karmann Ghia ein eigenes Coupé Filipinetti (unten). Das ist, was er zukünftig machen will!
1968 verlässt er den Rennstall und gründet das A.C.A. Atelier de Construction Automobile. Hier modifiziert er bestehende Autos, konstruiert Repliken wie zum Beispiel diejenige eines Bugatti Royale Oldtimers mit modernerer Technik, und er beginnt immer mehr, seine eigenen Autos zu designen und als Einzelstücke oder in Kleinserie zu bauen. Doch damit gibt es sich noch nicht zufrieden: Er entwickelt das Integralrad ohne zentrale Nabe (am Rennwagen unten), ein Dual-Frame-System, bei dem der Motorblock ein tragendes Bestandteil des Fahrgestells ist, und ein Rad mit integriertem Motor.
Franco Sbarro lebt seit mittlerweile 60 Jahren in der Westschweiz. Obwohl er weiterhin nur die italienische Staatsbürgerschaft besitzt, gilt er für mich als Schweizer Autodesigner.
ESPERA Sbarro
In den Neunzigerjahren gründete Franco Sbarro den Espace Sbarro, eine Schule für Automobildesign und Automobilkonstruktion. Die Schule zog im Laufe der Zeit von Grandson nach Pontarlier in Frankreich um und befindet sich seit dem Jahr 2007 in Montbéliard, eine halbe Stunde von der Schweizer Grenze entfernt. Sie gehört zur Technischen Universität Belfort-Montbéliard UTBM und firmiert unter der Bezeichnung ESPERA Sbarro, was für „Espace Sbarro Pédagogique d’Etudes et de Réalisations Automobiles“ steht. Übersetzt heisst dies ungefähr: Pädagogischer Sbarro-Raum für die Planung und die Realisierung von Automobilen.
Hier lernen die Studenten in einem zehnmonatigen Kurs die theoretischen (ungefähr 420 Stunden) und praktischen Grundlagen (ungefähr 1’000 Stunden) der Planung und des Baus von Automobilen. Dies umfasst:
- Design: Kennenlernen der verschiedenen Techniken und Werkzeugen, mit denen man Autodesign-Ideen zu Papier bringt.
- Modellieren eines Automodells aus Ton, wie dies nach wie vor gehandhabt wird.
- Allgemeine Mechanik und Metallbau, Herstellung des Chassis-Rahmens.
- Umgang mit Verbundkunststoffen für den Karosseriebau.
- Lackieren
- Kommunikation: Formulieren der eigenen Ideen.
Nach dem rund zweimonatigen theoretischen Teil folgt die Praxis: Die Studenten skizzieren ein Auto zu einer bestimmten Themen-Vorgabe und entwickeln daraus ein gemeinsames Projekt. Dieses setzen sie dann zusammen um. Von einem Spenderfahrzeug ausgebend konstruieren sie ein Chassis und formen eine Karosserie sowie den Innenraum nach dem, was sie bisher gelernt haben. Dabei werden sie von vier Lehrpersonen geleitet, die selbst Schüler von Sbarro waren und die vier Hauptpunkte seines Schaffens verinnerlicht haben: Ästhetik, Ethik, Konzept und Technik.
Die ganzheitliche Ausbildung ist Franco Sbarro wichtig. So ist Designern später bewusst, welche technischen Begebenheiten sie beim Entwickeln von Autos berücksichtigen müssen. Autobauer können besser versuchen, die Design-Aspekte zu verstehen und umzusetzen. Nach dem Kurs stehen den Absolventen alle Türen offen, sei es für eine weitere Vertiefung und Spezialisierung, um in einem Design- oder Konstruktionsteam zu starten – oder vielleicht sogar die eigene Automarke zu gründen.
Das fertige Fahrzeug wird jedes Jahr am Auto-Salon in Genf präsentiert. Danach arbeiten die Studenten an ihren eigenen Projekten, die sie in Form eines Modells Experten präsentieren und ihre Entscheidungen verteidigen müssen. Zum Schluss des Lehrgangs machen sich die Studenten an ein zweites gemeinsames Projekt und bauen zusammen ein weiteres Fahrzeug, wobei sie vom erlernten Wissen und der Erfahrung – und vielleicht auch den Fehlern – des ersten Projekts profitieren können.
Heutzutage geht es übrigens nicht mehr nur darum, ältere Technik mit viel mechanischen Teilen und wenig Elektronik zu verwenden. Seit ein paar Jahren werden auch Elektromotoren verwendet. Diese setzen nicht nur die Studenten, sondern auch die Kursleiter vor ganz neue Herausforderungen, die sie mithilfe von Elektrotechnik-Studenten der UTBM meistern.
Die wichtigste Voraussetzung für die Zulassung zum Kurs ist die Leidenschaft für Automobile. Bewerber müssen mindestens 18 Jahre alt sein und eine Ausbildung oder ein Diplom des französischen Niveau 4 mitbringen. Wenn ich dies richtig verstehe, bedeutet das eine Matur und vier Jahre technische Ausbildung oder Berufserfahrung. Die mitgebrachten Kenntnisse können beispielsweise Industriedesign, Autotechnik, aber auch etwas ganz anderes umfassen. Im aktuellen Lehrgang befindet sich beispielsweise auch ein Uhrmacher. Die verschiedenen Hintergründe der Kursteilnehmer ist dabei ein Gewinn für alle; alle lernen auch hier voneinander.
Studenten müssen ausserdem EU-Bürger sein oder über eine Aufenthaltsbewilligung in Frankreich verfügen. Dank den Bilateralen Abkommen zwischen der Schweiz und der EU werden Schweizer den EU-Bürgern gleichgesetzt. Die Ausbildung steht also ohne weiteres auch Schweizern offen.
Tag der offenen Tür im ESPERA Sbarro
Am unscheinbaren Gebäudekomplex in der Industriezone von Montbéliard würden wir wohl vorbeifahren, wären da nicht diese beiden etwas aussergewöhnlichen Fahrzeuge, die mit bekannt vorkommen.
Bei den beiden Autos handelt es sich um den ArCad‘ (oben links) und den Intencity (oben rechts und unten).
Der Weg zum Atelier führt um viele Gebäude herum und an ausgeschlachteten Autos vorbei. Ob diese wohl auch noch eine Verwandlung zum Sbarro-Traumauto vor sich haben? Auch beim Eingang zum Atelier stehen Sbarro-Mobile als Wegweiser.
Oben: der ESPERA Sbarro Sparta. Unten: der ESPERA Sbarro Aria.
Auch der Innenraum ist ein Design-Meisterwerk!
Im Innern geht’s gleich weiter mit ESPERA Sbarro Konstruktionen: dem Eight und dem Haze.
Während ein Teil der Studenten auch am heutigen Samstag am Gefährt für den Auto-Salon Genf arbeitet, betätigen sich die anderen als eine Art Reiseführer durch die Räume und ihre Ausbildung. 26 Männer und Frauen absolvieren derzeit den Lehrgang. Mit viel Stolz weisen sie auf die Zeichnungen hin, bisherige Aufgaben mit einem dreidimensionalen Modell und das gemeinsame Projekt als Ton-Modell.
Daraus entstand ein Schaumstoff-Modell in Originalgrösse, das für die Herstellung von Abgussformen für die Kunststoff-Karosserie diente und deshalb auch ein wenig ramponiert aussieht.
Die zusammengesetzten Abgussformen erinnern an eine aufwendige Kuchenform. Die Karosserie trocknet gerade in der… hmmm… Lackierkammer? Da fehlen mir dann doch die Worte auf Französisch. In drei Wochen muss das Auto fertig sein.
Ein Teil des Innenraums hat diesen Schritt bereits hinter sich und ist soweit bereit:
Unser „Reiseführer“ durch den Tag möchte sich auf die Autotechnik spezialisieren. Da hat er sicher besonders gerne am Chassis gearbeitet, das auf dem perfekt nivellierten Tisch weiter vorne entsteht (unten). Ob er sich beim nahen PSA-Konzern (Peugeot, Citroën) bewerben wird oder doch eine Anstellung in einem anderen Land sucht, weiss er noch nicht. Wir wünschen ihm auf jeden Fall viel Glück.
Es war grossartig, einen Blick hinter die Kulissen von Sbarro werfen zu dürfen. Am liebsten würde ich natürlich gleich bleiben und mich für den nächsten Kurs einschreiben. Oder mich zumindest hinters Steuer einer dieser Traumautos setzen. Vielleicht ja dann beim nächsten Besuch.
Ein Wiedersehen am Auto-Salon Genf
Seit über 40 Jahren ist Sbarro mit einem eigenen Stand am Auto-Salon in Genf präsent. Dieser findet jeweils etwa in der Hälfte des praktischen Teil des Kurses statt. Zur Ausbildung gehört nicht nur dazu, ein Auto zu entwerfen und zu bauen, sondern auch, es am Auto-Salon auszustellen und es den interessierten Besuchern zu präsentieren. Neben dem Auto aus dem Kurs ist auch das zweite Fahrzeug aus dem Kurs des vorherigen Jahres zu sehen. Und Franco Sbarro stellt auch immer zwei seiner eigenen Konstruktionen aus, die er parallel zum Kurs immer noch in seinem A.C.A.-Atelier in der Schweiz baut.
Und so gibt es am Auto-Salon 2017 nicht nur ein Wiedersehen mit dem Auto, das sich am Tag der offenen Türe noch mitten im Herstellungsprozess befand, sondern auch mit den Schülern, die uns damals so freundlich und zuvorkommend empfangen haben.
Und der Hot Rod, der «Mojave» getauft wurde, ist wirklich umwerfend schön mit seiner Zweifarben-Lackierung und den auffälligen, ringförmigen Scheinwerfern.
Und ich freue mich ganz besonders, Franco Sbarro persönlich zu treffen und mit ihm ein paar Worte zu wechseln. Auch mit 78 Jahren hat er kein bisschen von seiner Energie eingebüsst.
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[…] trotzdem Autodesigner/-in werden möchte, kann einen Kurs bei ESPERA Sbarro in Frankreich besuchen (lies meinen Blogbeitrag zu ESPERA Sbarro), oder eine entsprechende Ausbildung in Deutschland, rund um die Fertigungsbetriebe der grossen […]
[…] präsentiert wie immer zwei Eigenproduktionen und zwei Autos, die im Rahmen des Lehrgangs an seiner Schule für Autodesign und Autokonstruktion im französischen Montbéliard entstanden […]
[…] in Frankreich. Ich habe im 2017 einen Blick hinter die Kulissen der Schule geworfen und einen Blogbeitrag darüber verfasst. Der nächste Tag der offenen Türe findet am 6. April 2019 statt. Weitere […]