Jeremy Clarkson in Farmkhana oder das Ende des guten Geschmacks
In der neusten Episode von The Grand Tour ist zu sehen, wie Jeremy Clarkson mehrere Schafe zu Tode fährt. Zwar kommt im Nachhinein (und damit viel zu spät) über Social Media die Entwarnung, es habe sich nicht um echte Schafe gehandelt. Die Sendung hat aber einen grossen Aufwand betrieben, um die Zuschauer glauben zu lassen, dass echte Tiere zu Schaden gekommen seien. Wieso? Und darf man das? Jeremy Clarkson und das Ende des guten Geschmacks.
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Ich sehe mich als ziemlich grossen Fan von Top Gear. Ich habe die Sendung fast seit 2002 geschaut, als sie neu aufgelegt wurde, habe das Top Gear Studio und das Top Gear Museum besucht und bin über den Top Gear Test Track gefahren. Ich war traurig, als Jeremy Clarkson von BBC gefeuert wurde, aber nach all den Verwarnungen und letzten Verwarnungen war das nicht überraschend. Es war die richtige Entscheidung, da einen Produzenten zu schlagen nicht unbestraft bleiben soll.
Ich schaue The Grand Tour, mag die Sendung aber nicht so sehr wie ich Top Gear geliebt habe. Die Sendung ist zur Jeremy Clarkson Show verkümmert. Er will überall im Mittelpunkt stehen und hat James May und Richard Hammond zu Nebendarstellern degradiert. Ihre Challenges und Specials haben keinen Zweck, Mission oder Ziel mehr wie zu Top Gear-Zeiten. Die drei fahren einfach ziel- und planlos in der Gegend herum. Auch der „Amerikaner“ Testfahrer und der „Celebrity Brain Crash“-Teil waren blöd und wurden seither geändert.
In Episode 5 der 2. Staffel, die seit letztem Freitag auf Amazon Prime geschaut werden kann, hat Jeremy Clarkson behauptet, jeder könne so fahren wie Ken Block und ein tolles Gymkhana-Video machen. Das will er beweisen, indem er ein Video von sich einspielt, wie er über das Gelände eines Bauernhofs fährt, als James und Richard ihn unterbrechen und ein weiteres Video mit dem zeigen, was wirklich geschah: Jeremy bekam die Drehungen nicht hin und liess jemand anderen dafür antreten, er krachte in einen Zaun, ein Schlammloch, und in Schafe. Danach standen Jeremy und die Crew ziemlich bestürzt auf dem Feld, auf dem mehrere Schafe regungslos lagen, mit bedrückten Mienen.
Die Sendung endete ohne einen Hinweis oder ähnlichem, dass keine Tiere zu Schaden gekommen seien, und hinterliess damit Zweifel. Eine Mehrheit der Zuschauer war davon überzeugt, dass die Schafe „offensichtlich nicht echt seien und jeder, der das glaubt, ist ein Idiot“, oder dass die Schafe echt sind aber sie mittlerweile ja sowieso beim Metzger gelandet wären und es deshalb egal ist. Eine Minderheit hat angenommen, dass sie echt sind und fand es nicht in Ordnung, sie zu verletzen, oder es auch dann nicht in Ordnung ist, das vorzugeben, auch wenn sie nicht echt sind. Ich gehöre zur letzteren Gruppe, habe im Internet meine Meinung dazu gesagt und mein Amazon Prime-Abo sofort gekündigt.
Dann begannen Reaktionen einzutreffen. Und Mobbing und Beschimpfungen. Plötzlich ist die ganze Welt zu Schaf-Experten geworden. Nur, dass sie das ganz klar nicht waren. Obwohl sie’s (auch) nicht besser wussten, musste jeder seinen Senf dazu geben. Und meinte, je lauter er schreit, desto mehr sei er im Recht. Das haben sie gesagt:
„Man sieht doch genau, dass die Schafe offensichtlich nicht echt sind.“
- Nein, sieht man nicht. Wir sehen hauptsächlich Aufnahmen aus dem Wageninneren, von einer Kamera, die auf Jeremy Clarkson gerichtet ist. Die betroffenen Schafe sind beim Überfahren nicht zu sehen, nur zu hören. Auch das Schaf, das gegen die Scheibe knallt, ist nur während Sekundenbruchteilen im Bild. Es ist also unmöglich, in dieser kurzen Zeit zu sehen, ob das Schaf echt ist oder nicht – ja sogar, um was oder welches Tier es sich dabei gehandelt hat. Es war auch sehr schwierig, überhaupt ein Bildschirmfoto des Vorfalls zu machen, da das Schaf so schnell im und wieder aus dem Bild ist.
- In einer Totale ist Jeremy Clarkson und das Auto inmitten einer Wiese zu sehen, auf der im Hintergrund mehrere Schafe liegen. Da sie sich nicht bewegen, ist es noch schwieriger, zwischen echten toten und falschen Schafen zu unterscheiden.
- In der Zwischenzeit tauchte auf Instagram ein Foto einer Produktionsassistentin auf, die eines der falschen Schafe trägt. Und es sieht ziemlich echt aus. Für die Sendung wurde also ein riesiger Aufwand betrieben, um den Zuschauern vorzugaukeln, es habe sich um echte Schafe gehandelt. Scheinbar wurden sogar die dumpfen Aufprallgeräusche extra eingespielt. Plastikschafe würden beim Überfahren ja einfach zerbrechen oder gar keinen Ton von sich geben. Das falsche Schaf, das gegen die Scheibe fliegt und sie dabei beschädigt, muss wohl extra beschwert worden sein. Ein leichtes Plastikschaf könnte schliesslich keinen solchen Schaden anrichten.
„Tote Schafe sehen nicht so aus.“
- Doch, tun sie. Die Person meint die Beine einiger Schafe, die nicht zum Boden herunterhängen und scheinbar der Schwerkraft trotzen, da sie parallel zum Boden in der Luft sind. Er hat einfach keine Ahnung von Totenstarre. Der Tod beeinträchtigt die Muskeln des Körpers und führt dazu, dass die Tiere ihre Beine strecken, unabhängig davon, wie sie gerade auf dem Boden liegen. So steif bleiben sie dann während Stunden und es ist nicht möglich, ihre Gliedmassen in dieser Zeit zu bewegen.
- Ein anderer Typ bestand darauf, dass die Schafe falsch sein müssen, weil kein Blut zu sehen ist oder Gedärme, das raushängt. Das ist natürlich Blödsinn. Wenn ein Schaf Opfer stumpfer Gewalt wird, kann es daran sterben, ohne dass Blut oder Innereien aus dem Körper austreten. Das Gegenteil wäre scharfe Gewalt, bei der eine Klinge, ein Projektil oder ähnliches in den Körper eintritt und dabei eine Öffnung schafft, durch die je nachdem Körperflüssigkeiten und Organe austreten können.
- Die regungslosen Schafe auf der Wiese sehen ausserdem aus wie in Fotos von News-Berichten über von Wölfen oder dem Blitz getöteten Schafen. Aber scheinbar schaut niemand mehr Nachrichten.
„Die würden im Fernsehen keine Schafe töten.“
- Ja, ich stimme zu, würden sie nicht. Aber The Grand Tour läuft NICHT im Fernsehen. Amazon Prime ist ein Video-on-Demand-Dienst. Als solcher untersteht er nicht denselben strikten Gesetzen und Richtlinien wie Filme oder Fernsehproduktionen wie zum Beispiel die BBC, sondern nur sehr minimalen Vorgaben, die hauptsächlich Werbung und Sponsoring betreffen. Ich habe diese Vorgaben durchgelesen und sie würden es problemlos zulassen, dass Tiere getötet werden, und wie das von The Grand Tour gezeigt bzw. nicht gezeigt wird.
- Das Auto fuhr auf derselben Wiese, auf der sich auch die Schafe befinden, sehr nahe bei ihnen und mit einiger Geschwindigkeit, um sie in ihr Gehege zu treiben. Ich bin sicher, dass Clarkson nicht absichtlich ein Schaf überfahren und töten wollte. Aber man kan nie genau vorhersagen, in welche Richtung denn ein Schaf flüchten würde. Dass eines direkt vors Auto läuft, ist dabei mehr als nur wahrscheinlich. Es gibt schliesslich auch genügend Vorkommnisse, bei denen Wildschweine oder Rehe vor ein Auto laufen. Die toten Schafe wären also ein Unfall und natürlich dürfen Unfälle gezeigt werden.
- Bedenkt man Jeremys Vorgeschichte mit Gewalt, sich nicht an Regeln halten und sich nie politisch korrekt verhalten, war es sogar wahrscheinlicher, dass er wirklich echte Schafe unabsichtlich getötet hat als nicht, und dass er ein Video davon zeigen würde.
- James und Richard präsentieren den „Making of“-Clip, um zu zeigen, was wirklich geschah: der professionelle Fahrer, der die Kunststückchen gemacht hat, wie Jeremy immer wieder in den Zaun gekracht ist, und in die Schafe. In diesem Zusammenhang müssen wir annehmen (oder: sie wollen, dass wir annehmen), dass der Teil mit den Schafen ebenfalls wirklich passiert ist.
„Tiere werden in vielen Filmen und Fernsehserien ‚getötet‘. Warum hier nicht auch?“
- Ja, selten werden in Filmen und Fernsehserien Tiere „getötet“. Obwohl die Produzenten versuchen, das nicht zu tun (genauso wie bezüglich Kindern) oder die Zahl auf ein Minimum zu beschränken. Aber alle wissen, dass das nicht echt ist. Es gibt viele professionell trainierte Tiere, die auf der Leinwand erscheinen. Sie schauspielern genauso wie die menschlichen Schauspieler, führen Tricks aus und geben vor, zu sterben. Aber Jeremy Clarkson, James May und Richard Hammond sind nicht Schauspieler in einer fiktionalen Sendung, sondern Journalisten in einer einer Auto-Unterhaltungssendung.
- In Filmen und den meisten Fernsehserien erscheint am Ende eine Einblendung, die bestätigt, dass während der Produktion keine Tiere zu Schaden gekommen sind. Hier fehlte eine solche Einblendung/Hinweis/Aussage, dass keine Schafe verletzt wurden. Aufgrund des fehlenden Hinweises müssen die Zuschauer davon ausgehen, dass die Tiere in der Tat zu Schaden gekommen sind.
„Dich stört es ja nur, weil Du ein Veganer bist.“
- Nein, bin ich nicht. Ich esse gerne Fleisch, auch wenn ich nicht jeden Tag einen Klumpen davon auf dem Teller haben muss. Und ich weiss auch, dass Tiere sterben müssen, damit ich Fleisch essen kann. Aber es gibt Gesetze für Aufzucht und Tötung von Tieren zu Nahrungszwecken. Ich bin nur ein Mensch mit einem Anstandsgefühl, der der Meinung ist, es sei nicht okay, Tiere zu reinen Unterhaltungszwecken zu verletzen oder das zumindest vorzugeben.
- Ich glaube auch nicht, dass ich mit 39 Jahren plötzlich erwachsen geworden bin, sondern dass sich Jeremy, James und Richards Vorstellung davon, wie eine Autosendung auszusehen habe und was lustig ist, sich zum Schlechten gewendet haben, seit sie die BBC verlassen haben.
Nicht bestreiten, und dann die Diskussion nochmals anheizen
- Etwa fünfzehn Stunden nachdem die Episode online verfügbar war, hat AmazonHelp damit begonnen, auf Tweets zu antworten, dass bei der Produktion von Episode 5 der 2. Staffel von The Grand Tour keine Schafe verletzt wurden. The Grand Tour begann ungefähr gleichzeitig damit, mit einem ähnlichen Text auf Kommentare auf Facebook zu antworten. Es ist unerklärlich, wieso beide darauf verzichtet haben, dies in einem eigenständigen Post oder Tweet öffentlich sichtbar mitzuteilen. Das ist eine Schande und wurde meiner Meinung nach sehr schlecht gelöst.
- Später hat The Grand Tour die Diskussionen dann erneut angeheizt, indem sie auf Facebook und Twitter verkündet haben, der Farmkhana-Film sei einer der teuersten Produktionen der zweiten Staffel von The Grand Tour, hauptsächlich wegen all den Dingen, die Jeremy beschädigt und getötet hat. Auch das ist nicht gerade sehr clever.
Ist es lustig vorzugeben, dass Schafe getötet werden?
- Mich hat schockiert zu sehen, wie vielen Zuschauern es egal ist, dass Schafe getötet oder vermeintlich getötet werden. Viele meinen sogar die beste bisherige Episode gewesen. „Jetzt bin ich hungrig!“, hat jemand kommentiert. So weit ist die Welt also schon gekommen.
- Im Rampenlicht stehende Personen werden immer gerne als Vorbild genommen. Präsident Trump degradiert Frauen und macht rassistische Witze und niemand stellt ihm das ab. Nun ist ein solches (falsches!) Verhalten plötzlich salonfähig geworden. Dasselbe gilt für Clarkson. Wenn er uns zeigt, dass es in Ordnung ist, Tiere zu überfahren und zu töten, wird das mindestens einige der Zuschauer negativ beeinflussen. Gewalt gegen Tiere könnte steigen. Autofahrer könnten aufhören, für Katzen oder Hunde zu bremsen, die vor ihnen über die Strasse rennen. Deshalb ist es besonders wichtig, klipp und klar festzuhalten, dass es NICHT in Ordnung ist, Tiere zu quälen, zu verletzen oder zu töten oder dies vorzugeben. Es ist nicht lustig und wird es nie sein.
Zusammenfassend sind wir sicher alle froh, dass keine Schafe zu Schaden gekommen sind. Aber man konnte nur vom Zuschauen wirklich nicht sagen, ob es sich um echte oder falsche Schafe handelte. Einen solch grossen Aufwand mit lebensecht aussehenden falschen Schafen zu betreiben, um die Leute glauben zu lassen, es habe sich um echte Schafe gehandelt, ist, wie jemand auf Facebook korrekt beschrieb, ekelhaft. Das ist weit jenseits von lustig. Es ist das Ende allen guten Geschmacks. Ich habe für mich die Entscheidung getroffen und werde die Sendung zukünftig nicht mehr schauen.
Ich habe Top Gear geliebt, aber The Grand Tour ist lange nicht das, was Top Gear mal war. Ich habe mein Amazon Prime Abonnement gekündigt und sehe mir die Sendung nicht mehr an. Ich bin wirklich froh, dass sich das neue Top Gear so gut entwickelt hat – vielleicht nicht die erste neue Staffel mit Chris Evans, aber jetzt mit Matt LeBlanc und den anderen Moderatoren, die genau wissen, was sie machen und wovon sie sprechen. Ich freue mich jetzt auf die neue Top Gear-Staffel. :-)
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