Fehlurteil: Mietwagenfirma muss Verkehrsbusse bezahlen

Kann die Verkehrsbusse der Touristin aus den USA nicht eingefordert werden, muss der Autovermieter diese zahlen. So hat vor wenigen Tagen das Obergericht des Kantons Appenzell Ausserrhoden entschieden. Dieses Urteil ist nicht nur im konkreten Fall rechtlich falsch, sondern könnte ein gefährliches Präjudiz für Mietwagenfirmen schaffen und für alle, die ihr Auto einer anderen Person überlassen. Jetzt weiterlesen!

Radarfalle

Im Juni 2014 hatte eine Amerikanerin für ihre Ferien in der Schweiz ein Auto gemietet. Mit diesem Mietauto wurde sie am 20. Juni auf der Umfahrungsstrasse von Teufen im Kanton Appenzell Ausserrhoden mit einer Geschwindigkeit von – nach dem Unsicherheitsabzug – 96 Stundenkilometern geblitzt. Dies bedeutet eine Busse in der Höhe von 240 Franken.

Auf ihre Aufforderung hin hat die Mietwagenfirma der Polizei den Namen und die Adresse der Mieterin genannt. Doch die von der Polizei nach Amerika geschickte Busse blieb unbezahlt. Zwar besteht zwischen der Schweiz und den USA ein Staatsvertrag über gegenseitige Rechtshilfe in Strafsachen, dieser schliesst jedoch die Vollstreckung von Strafentscheiden aus. Bisher bestehen nur mit Frankreich und Österreich Abkommen zur gegenseitigen Vollstreckung von Verkehrsbussen. Das heisst: Amerika wird die Appenzeller Busse nicht eintreiben. Die Touristin kann höchstens bei ihrer nächsten Einreise in die Schweiz angehalten und zum Bezahlen gezwungen werden, sofern dies innert drei Jahren seit der Rechtskraft des Urteils erfolgt.

Die Staatsanwaltschaft Appenzell Ausserrhoden hatte daraufhin einen vermeintlichen Geistesblitz. Sie stellte die Busse der Mietwagenfirma als Fahrzeughalterin zu. In der Medienmitteilung des Obergerichts Appenzell Ausserrhoden ist zu lesen: „Sie stützte sich dabei auf Art. 6 des Bundesgesetz über die Ordnungsbussen. Diese Bestimmung war im Gefolge der Massnahmen zur Erhöhung der Verkehrssicherheit, bekannt unter dem Begriff ‚via sicura‘, geändert worden. Seit dem Inkrafttreten des revidierten Art. 6 Ordnungsbussengesetz am 1. Januar 2014 kann der Halter eines Fahrzeuges zur Bezahlung einer Ordnungsbusse verpflichtet werden, wenn der Fahrzeuglenker mit verhältnismässigem Aufwand nicht festgestellt werden kann.“

Sowohl die Einsprache der Mietwagenfirma beim Kantonsgericht als auch die Berufung ans Obergericht Appenzell Ausserrhoden wurden abgelehnt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig; es kann noch beim Bundesgericht angefochten werden.

Der Fahrzeugführer ist nicht unbekannt

Und genau auf diese Anfechtung beim Bundesgericht ist nun zu hoffen. Denn das Büssen des Vermieters verstösst krass gegen den klaren Wortlaut des Gesetzes.

Artikel 6 Ordnungsbussengesetz

Der genannte Artikel 6 sagt nämlich unmissverständlich, dass es hier um Fälle handelt, bei denen der Fahrzeugführer unbekannt ist. Bei unserem Fehlurteil trifft dies aber nicht zu. Der bzw. die Fahrerin ist sehr wohl bekannt. Die Mietwagenfirma hatte ihren Namen und ihre Adresse der Polizei genannt. Sie ist damit die einzige Person, die gebüsst werden darf – auch wenn sie wegen ihres ausländischen Wohnsitzes nicht zur Bezahlung der Busse gezwungen werden kann.

Richter dürfen dann eine Lücke im Gesetz füllen, wenn denn wirklich eine besteht, oder das Gesetz auslegen, wenn sein Wortlaut unklar ist, zum Beispiel um sich an ändernde Wertvorstellungen anzupassen. Hier trifft jedoch keiner der beiden Fälle zu. Im Rechtshilfe-Abkommen mit den USA wird die Vollstreckung von Strafentscheiden bewusst ausgenommen und der Wortlaut von Artikel 6 ist so klar wie selten in einem Gesetz.

Auch der Verweis des Obergerichts auf ein Urteil des Menschengerichtshofs in Strassburg führt zu nichts. Dieses hatte die Verurteilung des Fahrzeughalters durch das höchste holländische Gericht „nicht beanstandet“. Doch in diesem Fall konnte effektiv nicht ermittelt werden, wer denn am Steuer sass.

Risiko für Mietwagen-Unternehmen

Das Urteil ist also nicht nur falsch, sondern auch gefährlich für Autovermieter. Denn so tragen sie trotz vollständiger Kooperation mit der Polizei bei jeder Vermietung an einen im Ausland wohnhaften Mieter das Risiko, für dessen Bussen geradestehen zu müssen, wenn der Mieter sie nicht bezahlt. Dies kann bei besonders eiligen Fahrern sehr schnell sehr teuer werden. Dies könnte nur zur Folge haben, dass Mietwagenfirmen keine Autos mehr an Personen aus dem Ausland vermieten würden. Oder hier schon mal ein hohes Depot in Bargeld verlangen würden, das sie dann bis mehrere Monate nach Ende der Mietdauer behalten würden, um damit allfällige Bussgeldbescheide zu bezahlen.

Unklar wäre hier auch, was im Geschwindigkeitsbereich der Raser-Fälle gelten würde, für die das Gesetz zwingend eine Freiheitsstrafe ab 1 Jahr vorsieht. Der Logik der Appenzeller folgend müsste damit der Autovermieter ins Gefängnis. Das kann ja dann definitiv nicht mehr richtig sein.

Und was wäre passiert, wenn sich auch die Mietwagenfirma im Ausland befunden hätte? Hätte die Appenzeller Staatsanwaltschaft die Busse dann der Herstellerfirma des Autos zugestellt, mit dem die Tat begangen wurde?

Doch es müssen nicht mal Mieter aus dem Ausland sein: Wird beispielsweise ein Mobility-Kunde mit dem Mobility-Auto geblitzt, kontaktiert die Polizei Mobility. Dort wird der Verursacher ausfindig gemacht und seine Daten der Polizei mitgeteilt. Der oder die Schuldige erhält die Busse dann direkt von der Polizei. Was, wenn die Person die Busse nicht zahlen will oder zahlen kann? Dann käme sicher bald auch ein Staatsanwalt auf die Idee, dass der Aufwand viel geringer sei, wenn die Busse einfach Mobility in Rechnung gestellt würde, als weiterhin auf die Bezahlung durch den wahren Übeltäter zu pochen. Denn sonst müsste die unbezahlte Busse in eine Ersatzfreiheitsstrafe umgewandelt werden (1 Tag pro 100 Franken, aufgerundet auf ganze Tage), was zusätzliche Kosten für den Staat verursachen würde. Irgendwann würde dann von Anfang an Mobility gebüsst, ohne überhaupt noch nach dem wahren Schuldigen zu fragen.

Die Schweiz würde sich damit immer weiter davon entfernen, ein Rechtsstaat zu sein. Denn eigentlich darf für eine Tat nur der Täter verurteilt werden.

Hintergrund der Halter-Haftung

Artikel 6 des Ordnungsbussengesetzes wurde eingeführt, um ein Problem zu lösen. Bisher konnte nur der Fahrer gebüsst werden. Nachweisen musste die Polizei, wer am Steuer sass. Dies führte dazu, dass Blitzkasten-Fotos, auf denen der Fahrer oder die Fahrerin nicht zu erkennen war, einfach im Papierkorb landeten. Die Behörden schätzten, dass ihnen damit rund 1 Million Franken an Bussengeldern entging.

Aber auch klare Fotos führten nicht immer zur Busse. Gerade Zwillinge konnten die Behörden an der Nase herumführen, ohne je gebüsst werden zu können. Selbst bei einer polizeilichen oder gerichtlichen Befragung mussten sich diese nicht selbst belasten und hatten auch ein Zeugnisverweigerungsrecht gegenüber des Zwillingsgeschwisters (so auch bezogen auf den Ehe- und Lebenspartner sowie in gerader Linie verwandte und verschwägerte Personen; siehe Art. 168 Strafprozessordnung). Somit konnte keiner von beiden gebüsst werden.

Auch bei Firmenautos ist den Strafverfolgungsbehörden nicht klar, wer sie fährt. Das Unternehmen muss jedoch zwingend Auskunft geben und kann als Halter dann verfolgt werden, wenn es nicht kooperiert und dieser Pflicht nicht nachkommt.

Mit der neuen Regelung der Halter-Haftung bei nicht feststellbarem Fahrer gehen die Gesetzgeber davon aus, dass die Busse Familien-intern (oder auch Unternehmens-intern) dann schon weitergereicht und vom effektiven Verursacher bezahlt werde. Was in den meisten Fällen sicher auch geschieht.

Fazit

Das Urteil aus Appenzell Ausserrhoden widerspricht den strafrechtlichen Prinzipien und dem klaren Wortlaut des Ordnungsbussengesetzes und stellt den Rechtsstaat Schweiz infrage. Es ist gefährlich für Mietwagenfirmen und schlussendlich für alle, die ihr Auto einer anderen Person überlassen, indem es den Strafverfolgungsbehörden Tür und Tor öffnet, bei der Busseneintreibung einfach den Weg des geringsten Widerstands zu gehen und die Person zu büssen, die am wenigsten Aufwand bedeutet.

Es bleibt somit zu hoffen, dass das Urteil des Obergerichts beim Bundesgericht angefochten und von diesem aufgehoben wird. Sonst kann es zu einem gefährlichen Präjudiz werden, also in späteren, ähnlichen Fällen als Vorlage herangezogen werden.

Permalink zu diesem Beitrag: http://ptrl.ch/urtar

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