Ein Monteverdi im Winter Wonderland

Wer die Lichtershow auf dem Berner Hausberg Gurten besucht, staunt nicht schlecht: Neben all den Licht-Skulpturen steht am Holzschnitzel-Wegrand auch ein roter Rennwagen in einem halboffenen Festzelt. Da es kein Schild dazu gibt, bleibt für die Besucherinnen und Besucher unklar, was das genau für ein Auto ist und was es hier macht. Wir wollen das ändern.

Wer steht da so spät in Nacht und Wind? Es ist ein Monteverdi ohne Info-Schild. Immerhin prangt der Name gross auf dem Heckspoiler, der irgendwie merkwürdig aussieht.

Die fast vergessene Schweizer Autobauer-Ikone

Monteverdi ist ein ehemaliger Schweizer Autohersteller, der zwischen 1967 und 1982 Luxusfahrzeuge in Binnigen bei Basel produzierte. Peter Monteverdi hatte von seinem Vater eine Autowerkstatt übernommen und sich auf Sportwagen und Edelmarken spezialisiert. Nach einem Streit mit Enzo Ferrari beschloss er, eigene Autos herzustellen – mit einem eleganten, zeitlosen Design und grossen amerikanischen Motoren. Am besten verkaufte sich der High Speed 375, aber auch die Geländewagen Safari und Sahara. Ölscheichs liessen sie jeweils mit dem Flugzeug nach Binnigen in den Service fliegen. Daneben baute Monteverdi den Range Rover, der vom britischen Autobauer anfänglich nur in einer dreitürigen Variante angeboten wurde, zum Fünftürer um. Bei Interesse empfehlen wir, unseren Blogbeitrag über Peter Monteverdi und seine Automarke zu lesen.

Wer ein besonders gutes Sehvermögen hat, kann auf dem schwarzen Aufkleber «Monteverdi Automuseum Binningen – Basel» entziffern. In der ehemaligen Produktionshalle waren alle Monteverdi-Modelle ausgestellt; von Peter Monteverdis erstem Auto, das er als 17-Jähriger aus einem Unfallwagen erschaffen hat, bis zu seinem letzten, dem Hai 650 F1. Auch der Rennwagen vom Gurten war hier ausgestellt, damals noch mit einer jetzt fehlenden Abdeckung mit Shell-Logo auf der Nase.

Das Automuseum gibt es jedoch nicht mehr. Es wurde im Dezember 2016 geschlossen und ist heute ein (durchaus sehenswertes!) privates LEGO-Museum.

Vom Museum ins Verkehrshaus

Doch mit der Schliessung des Museums ist Monteverdi nicht etwa verschwunden. Paul Berger, Peter Monteverdis langjähriger Lebensgefährte und Inhaber der Monteverdi-Sammlung, ist ein Geniestreich geglückt. Er fand mit dem Verkehrshaus in Luzern ein neues Zuhause für die Fahrzeuge und sorgte damit auch dafür, dass sie hier einem breiteren Publikum zugänglich gemacht werden als in Binnigen, wo das Automuseum zuletzt nur noch auf Voranmeldung für Gruppen geöffnet wurde.

Am 12. April 2017 wurde die permanente Monteverdi-Ausstellung im Verkehrshaus feierlich eröffnet. Fast die ganze Autosammlung wurde nach Luzern verlegt. Paul Berger hat jedoch ein paar Monteverdis behalten, wie er mir am Auto-Salon in Genf erzählte. Aus Platzgründen sind im Verkehrshaus aber nie alle Modelle gleichzeitig ausgestellt. Abgesehen von den wichtigsten Autos wechseln sich die übrigen Monteverdis ab.

Zu den weniger bekannten Ausstellungsstücken gehören Monteverdis Rennwagen. In den Jahren 1960 und 1961, noch lange vor seinem High Speed 375, baute Peter Monteverdi unter der Firmenbezeichnung MBM Rennwagen für die Formel Junior und die Formel 1 – unter anderem auch, um selbst an diesen Rennen mitzufahren. Bei einem Rundrennen auf dem Hockenheimring verunfallte Peter Monteverdi jedoch schwer und gab den Rennsport auf.

1990/1991 versuchte Peter Monteverdi einen weiteren Ausflug in die Formel 1. Zusammen mit einem Unternehmer kaufte er das Formel-1-Team Onyx. Das Design der Rennwagen wurde überarbeitet und Testfahrten in Monza durchgeführt. Die mit dem Sohn des Unternehmers als Fahrer erzielten Erfolge waren jedoch mässig. Und auch wegen der Zurückhaltung der Sponsoren entschied sich Peter Monteverdi schlussendlich doch, 1991 «der Königsklasse des Motorsports endgültig den Rücken zu kehren».

Die Verbindung nach Bern

Aus dieser Zeit, nämlich aus dem Jahr 1991, stammt auch das Ausstellungsobjekt im Winter Wonderland. Es handelt sich dabei jedoch nicht um einen echten Rennwagen, sondern nur um eine Design-Studie, ein Einzelstück. Der Veranstalter des Winter Wonderlands erklärt:

«Der Monteverdi ist eine Leihgabe unseres Partners Verkehrshaus Schweiz. Eigentlich wollten sie uns ein Berna Automobil, das in Bern gebaut wurde, hinstellen. Leider war der aber nicht fahrtüchtig, deshalb kam der Monteverdi zum Zug.»

Berna ist ein ehemaliger Nutzfahrzeug-Hersteller, der kurz nach der Gründung in Bern im Jahr 1902 nach Olten umzog. Insofern passt der Monteverdi-Rennwagen besser nach Bern! Denn die Design-Studie wurde in Bern gestaltet – von keinem geringerem als Luigi Colani. Der berühmte Designer wohnte damals in Bern und hatte sein Atelier in einer früheren Toblerone-Lagerhalle an der Güterstrasse 8. Im Monteverdi-Buch ist dazu zu lesen:

«Der berühmte deutsche Industriedesigner Luigi Colani, der Anfang 1986 nach Bern gezogen war, hatte unter der Marke Monteverdi ein Grand-Prix-Auto geschaffen. Dessen Kunststoffaufbau entstand allerdings bloss auf einer Holzstruktur. Die Aerodynamik mit der viel zu niedrig aufgestzten Heckflügelkonfiguration hätte sich in der Praxis wohl kaum bewährt. Aber gut geformt sah dieser Renneinsitzer aus; ein typisches Colani-Kunstwerk, eben!»

Luigi Colani, Sohn eines Schweizers aus dem Kanton Graubünden übrigens, war bekannt für seine aerodynamischen, biomorphen Formen für Autos, Flugzeuge und viele weitere Gebrauchsgegenstände. Dieser von ihm «Biodesign» genannte Stil war oft lebenden Wesen oder Teilen davon nachempfunden. Dazu passen nicht nur die Flügelspitzen, sondern auch die asymmetrischen Lufteinlässe der Monteverdi Design-Studie, die erst auf den zweiten Blick auffallen.

Die organische Formensprache machte Colani vor allem bei den eher naturverbundenen Kulturen im asiatischen Raum bekannt. Vor seiner Zeit in Bern arbeitete er in Japan für mehrere japanische Hersteller von technischen Gebrauchsgütern wie Canon, Sony und Mazda. Danach war Colani in China tätig, wo er an mehreren Universitäten Design unterrichtete und 2014 ein Design-Institut eröffnete.

Zu seinem Tod widmete Der Spiegel Luigi Colani einen Artikel mit seinen aufregendsten Designs.

Colani-Möbel sind auch heute noch gefragt und werden z.B. bei Pamono angeboten.

Das LKW-Design von Colani wirkt heute noch wie aus einem Science-Fiction-Film entsprungen.

Auf dem fehlenden Info-Schild, das ich damals noch im Monteverdi-Museum in Binningen fotografiert hatte, stand übrigens:

«Monteverdi Formel 1 Studienmodell 1991: Monteverdi Design Formel 1 Technik. Monocoque/Flügel/Herstellung: Stephan Kurt, Aerodynamik Entwurf: Prof. L. Colani».

Das Auto verfügt über einen 8-Zylinder-V-Motor mit 3’491 cm3 Hubraum, der 620 PS bei 11’200 U/Min. erzeugt. Bei nur 510 kg Leergewicht erreicht es eine Höchstgeschwindigkeit von 345 km/h – theoretisch zumindest.

Das Winter Wonderland in Bern

Auf dem Gurten oberhalb von Bern erleuchtet das «Winter Wonderland» die kalten Nächte. Mehr als 300 grosse und kleine Lichtskulpturen erwarten die kleinen und grossen Besucherinnen und Besucher auf dem rund einen Kilometer langen Holzschnitzel-Rundweg, darunter ein Pfau und ein Mammut und eine Hirsch-Familie, eine Ozean-Unterwasserwelt mit einem Wal, Eisbär und Pinguinen. Es gibt verschiedene Foto-Gelegenheiten, zum Beispiel im Weihnachtsbaum-Schlitten, Engelsflügel, oder eine Froschkönigin zum Küssen. Im Eintrittspreis ist die Fahrt im Gurtenbähnli inbegriffen.

Das Winter Wonderland Bern ist noch bis am 30. Januar 2022 geöffnet.

www.winterwonderlandschweiz.ch

Und ja: Ich frage mich, ob das Auto hier wirklich gut aufgehoben ist, bei Minustemperaturen und trotz dem Zelt Wind und Wetter ausgesetzt.

Permalink zu diesem Beitrag: http://ptrl.ch/wonderland

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