Auto-Salon Genf 2016: Supersportwagen
Früher gab’s an den Ständen der Supersportwagen-Hersteller Poster zum Mitnehmen. Das des Dodge Vipers hing lange an meiner Kinderzimmer-Wand. Es sind Bubenträume, die hier gezeigt werden. Die Supersportwagen bleiben wohl für die meisten Besucher unerreichbar. Umso wichtiger, sie hier wenigstens einmal in echt zu sehen.
Dies ist eine Berichterstattung über den Auto-Salon Genf 2016 in vier Teilen: Drittes Kapitel: Supersportwagen.
Bugatti Chiron
Der Veyron ist tot, es lebe der Chiron! Der neue Bugatti Supersportwagen, der am Auto-Salon seine Weltpremiere feiert, schlägt denn auch alle Rekorde. Die 16 Zylinder mit vier Turboladern produzieren 50% mehr Leistung als noch im ersten Veyron mit 1’001 PS – unglaubliche 1’500 PS sind es insgesamt. Sie beschleunigen den Chiron in unter 2,5 Sekunden von 0 auf 100 km/h und dann immer weiter bis zur elektronisch abgeregelten Höchstgeschwindigkeit von sagenhaften 420 Stundenkilometern. Bei Vollgas verbraucht der Chiron ebenfalls sagenhafte 119 Liter auf 100 Kilometer und leert den 100 Liter-Tank in acht Minuten. Anders als andere Supersportwagen setzt er rein auf Benzin – einen Hybrid-Antrieb hat Bugatti nicht nötig. Der hätte nur das Gewicht unnötig erhöht.
Das Auto ist weder nach dem Zentauren und Halbbruder von Zeus noch dem Asteroiden benannt, sondern nach dem Rennfahrer Louis Chiron (1899-1979), der unter anderem mit einem Bugatti Siege erzielte. Die Produktion ist auf 500 Exemplare beschränkt, die je 2,4 Millionen Euro kosten. 120 sind bereits verkauft, an Leute, die „durchschnittlich 64 Autos, 3 Jets, 3 Helikoper und eine Yacht besitzen“.
Im Gegensatz zum eleganten Erscheinungsbild des Veyron erscheint der Chiron brachial und rabiat mit seinen kräftiger gezogenen Linien und den acht Lichtern vorne. Durch sie gelangt Luft zur Kühlung zu den Bremsen der Vorderräder. Fürs Abblendlicht leuchten die Umrisse der abgerundeten Vierecke stärker. An der Seite fällt vor allem die „Bugatti-Linie“ auf, der weit geschwungene Bogen, der den gesamten Türbereich umfasst und gleichzeitig Luft zu den insgesamt zehn Kühlern führt.
Mir gefällt der Chiron nicht – zumindest nicht von der Seite. Es ist genau diese Bugatti-Linie und der eingefasste, zusammengedrückte Türbereich, der mich stört. Die Linie trennt das Auto entzwei; ein Eindruck, der vom Zweifarben-Look noch unterstützt wird. Ausserdem sieht der dunkelblaue Lack mit seinen Einschlüssen von nahem aus, als sei das Auto staubig.
Koenigsegg Regera
Nachdem der schwedische Autohersteller Koenigsegg am letztjährigen Auto-Salon Genf den Regera als Studie vorgestellt und erste Bestellungen entgegennehmen konnte, ist das Modell nun serienreif. Gründer und Firmenchef Christian von Koenigsegg war persönlich anwesend, um den Regera zu enthüllen und ihn mit viel Begeisterung den anwesenden Journalisten vorzustellen.
Von den geplanten 80 Exemplaren zu je 1,9 Millionen US-Dollar ist die Hälfte bereits verkauft. Sowieso kann Koenigsegg auf das erfolgreichste Jahr seiner Firmengeschichte zurückblicken. Koenigsegg-Sportwagen waren bisher vor allem schnell. Mit dem Regera werden sie nun auch wirklich luxuriös. Und wandelbar. Das Targa-Dach ist abnehmbar und lässt sich in der Fahrzeugfront verstauen. Diese, die Scherentüren und das Heck öffnen sich elektrisch. Auch das Fahrwerk und vieles mehr lässt sich elektrisch verstellen. Koenigsegg nennt das einen „fully robotized car“.
Doch das ist noch nicht alles an Elektrik. Nicht ein, nicht zwei sondern gleich drei Elektromotoren unterstützen den Benzin-V8-Motor mit Doppelturbolader. Alle zusammen produzieren eine Leistung von 1’520 PS – ein wenig mehr als der Bugatti Chiron. Die beiden schenken sich denn auch nichts. Während der Chiron bei der Beschleunigung bis 100 km/h die Nase vorne hat, ist der Regera bis 200 und 300 km/h schneller. Trotz seiner tieferen Höchstgeschwindigkeit von 410 km/h ist es fraglich, ob der Chiron den Vorsprung des Regera wieder aufholen könnte, bevor ihm das Benzin ausgeht.
Neben diesen Werten beeindruckt auch das Getriebe: Es hat nur einen einzigen Gang. Das Direct Drive System ist eine Eigenentwicklung und absolut faszinierend: Im Geschwindigkeitsbereich von 0 bis rund 50 km/h wird das Auto alleine von den Elektromotoren beschleunigt. Je mehr die Geschwindigkeit zunimmt, desto mehr schliesst sich die hydraulische Kupplung des Benzinmotors zum Antriebsstrang.
Der Verzicht auf ein klassisches Getriebe mit Gängen mit unterschiedlicher Übersetzung spart Gewicht. Ausserdem geht beim Schalten jeweils Energie und Vortrieb verloren – das passiert hier nicht.
Lamborghini Centenario
Lamborghinis haben mich schon immer viel mehr fasziniert als Ferraris. Vermutlich, weil sie immer radikaler und ziemlich kompromisslos daherkamen. Nach den eher brav aussehenden Lamborghinis unter Audi-Führung folgt hier das erste Modell, das auf der Liste eines tollen Lamborghinis wieder alle Kreuzchen vorweisen kann. Die Luftein- und -auslässe vor und hinter den Türen sind riesig, passen aber wunderbar ins Gesamtbild des Autos. Im Gegensatz zum Huracán öffnen sie auch wieder nach oben. Schade, dass nur insgesamt 40 Exemplare davon produziert werden (20 Coupés und 20 Cabrios, je 1,75 Mio. Euro), die bereits alle ausverkauft sind. Hoffentlich sehen auch zukünftige Lamborghinis so aus!
McLaren 570GT
Der McLaren 570 ist nicht neu. Neu ist hingegen der zusätzliche Stauraum (220 Liter) über dem Motor, der den neuen 570GT zum „luxuriösesten Modell“ von McLaren macht. Beladen kann man das Gepäck über die seitlich öffnende Heckscheibe. Hier hat es tatsächlich Platz für eine kleine bis mittelgrosse Reisetasche und irgendetwas Flaches. Dadurch wird dann aber auch gleich die Sicht nach hinten deutlich eingeschränkt. Ist man sportlich unterwegs, muss das Gepäckstück kräftig festgezurrt werden. Sonst saust es beim starken Bremsen plötzlich auf Kopfhöhe von hinten durch die Windschutzscheibe.
Im Gegensatz zu anderen Supersportwagen ist der McLaren 570GT bewusst auf Alltagstauglichkeit ausgelegt und eignet sich problemlos für die tägliche Fahrt ins Büro. Es gibt ihn bereits ab günstigen knapp 200’000 Euro.
Kahn Vengeance
Kahn Design aus Grossbritannien ist erst seit ein paar Jahren am Auto-Salon Genf präsent. Der Auto-Veredler verleiht Land Rover und Range Rover seine spezielle Note, indem er sie mit seinen eigenen Felgen (mit diesen startete Gründer Afzal Kahn seine Karriere), Front- und Heckschürzen versieht und die Sitze aufwändig und extrem ansprechend neu bezieht. Aufgefallen ist mir Kahn Design erst am Auto-Salon 2015, an dem er alle Blicke auf seine Vulkan-mattgrauen Range Rover und den dreiachsigen Land Rover Defender-Umbau mit verlängerter Schnauze zog.
Dieses Jahr enthüllt Afzal Kahn am Auto-Salon Genf sein selbst entwickeltes Auto, den Vengeance, mit dem er sich seinen seit zehn Jahren gehegten Traum erfüllt. Der Vengeance baut auf einem Aston Martin DB9-Chassis auf, dem er dann auch ziemlich ähnlich sieht. Zusammen mit seinem Design-Team hat Afzal Kahn jedoch die gesamte Karosserie neu gestaltet, die dann in Handarbeit hergestellt wurde.
Gerade mal fünf Vengeances sollen produziert werden. Ob sie bereits verkauft sind und wohin sie gehen, darüber ist leider nichts bekannt. Das in Genf präsentierte Modell ist zumindest linksgesteuert, wird also nicht in Grossbritannien bleiben.
Am Vengeance fallen die langen Wölbungen der Kotflügel auf, die dem Auto eine schön geschwungene Form geben. Die Felgen in Roulette-Rad-Optik stammen von Kahn selbst, und auch die runden Rücklichter sind im selben Design gehalten. Vorne ist der verchromte Kühlergrill mit seinen dicken Zähnen ein Blickfang. Ich frage mich aber schon lange, wo hier das Nummernschild Platz haben wird, ohne ein grosses Stück der Front zu verdecken. Wahrscheinlich ging dieser doch wichtige Punkt bei der Gestaltung des Autos einfach vergessen.
Leider hat die Enthüllung enttäuscht. Während bei Koenigsegg pure Begeisterung zu spüren war, bestand die mit grosser Verspätung gestartete Pressekonferenz am Kahn-Stand aus ein paar Worten eines Mitarbeiters und dem wortlosen Wegziehen der Decke durch Afzal Kahn. Danach betrachtete er ziemlich desinteressiert seine Kreation (Foto: Kahn betrachtet Kahn) und trank gemütlich einen Kaffee, anstatt für Fotos oder sogar ein kleines Interview zur Verfügung zu stehen. Schade! Gerade hier hatte ich mir mehr erhofft – auch aufgrund des ansonsten geringen Interesses der Presse.
Zu den übrigen Teilen dieser Berichterstattung über den Auto-Salon 2016:
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[…] einen zusätzlichen Prototyp. Hier steht der Roadster-Prototyp, während wir das Coupé-Pendant am Auto-Salon in Genf gesehen […]